Zusammenarbeit Führung auf Distanz – so meistern Chefs das Homeoffice

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Wer ein guter Homeoffice-Chef werden will, muss noch mehr an seinen eigenen Fähigkeiten arbeiten als andere. Worauf es jetzt ankommt.  

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Da kann die Arbeit im Homeoffice noch so gut funktionieren – wenn der Chef meint, sein Team aus dem Blick zu verlieren, ist die Rückkehr ins Büro oft unvermeidlich. Dahinter steckt meist nicht böser Wille, sondern Selbstzweifel. „Viele Führungskräfte tun sich schwer mit Remote Leadership, weil sie nicht wissen, wie sie ihr Team motivieren, wie sie Vertrauen und offene Kommunikation fördern können“, sagt Karriere-Coach Gesa Weinand. 

Das trifft nicht nur Introvertierte und Kontrollfreaks, wie Dieter Frey, Leiter des Zentrums für Führung und Personalmanagement an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), betont: „Auch Führungskräfte, die bestimmte notwendige digitale Skills noch nicht beherrschen, haben ihre Probleme mit der Führung aus der Ferne.“ Aus gutem Grund. „Ja, Führen aus und ins Homeoffice ist schwerer als die Zusammenarbeit vor Ort“, wirbt der Psychologe um Verständnis für überforderte Vorgesetzte. Die Kommunikation sei schwieriger, weil etwa der Austausch zwischen Tür und Angel wegfalle. 

Diese gestörten Kommunikationswege untergraben die Basis guter Zusammenarbeit: Vorgesetzte wissen häufig nicht, woran Beschäftigte gerade arbeiten. Sie verbringen deshalb einen Großteil ihrer Zeit mit Absprachen auf den verschiedensten Kanälen, verlieren dabei aber schnell der Überblick. Für Mitarbeiter wird das Homeoffice hingegen leicht zum luftleeren Raum. Sie bekommen auf wichtige Fragen keine oder zu spät Antwort, sollen selbst aber am besten immer verfügbar sein – allein um zu beweisen, dass sie tatsächlich arbeiten. 

Das Homeoffice offenbart nach Ansicht der Experten auch grundlegende Schwächen bei Vorgesetzten, die im Büro bislang kaum aufgefallen sind. Für Weinand spielen gute Homeoffice-Chefs deshalb quasi in einer anderen Liga. „Führung in Präsenz verhält sich zu Führung auf Distanz wie Bundesliga zur Champions League“, meint sie. Was aber ist für den Aufstieg zum wirklich guten Homeoffice-Chef nötig?

Für klare Verhältnisse sorgen 

„Ich glaube prinzipiell nicht, dass für das Führen im Homeoffice andere Führungseigenschaften notwendig sind als für das Führen in Präsenz“, beruhigt Frey gestresste Chefs. Allerdings komme es im Homeoffice stärker darauf an, die Prinzipien guter Führung tatsächlich umzusetzen. „Es ist zum Beispiel wichtig, dass der Sinn der Arbeit klar rüberkommt“, sagt der LMU-Professor. Dazu müssten die gegenseitigen Erwartungen eindeutig geklärt sein und regelmäßig über den Stand der Arbeit gesprochen werden. 

Das bedeutet allerdings nicht, die Beschäftigten mit ständigen Anrufen zu überwachen, wie Weinand unterstreicht. Denn Homeoffice ist für Führungskräfte ein Balanceakt zwischen Engagement und Loslassen. „Vorgesetzte müssen lernen, Kontrolle abzugeben. Vertrauen in das Team ist hier das Stichwort“, sagt die Personalexpertin. Gleichzeitig müssten Führungskräfte noch klarer formulieren, was sie von ihren Mitarbeitern erwarten, weil die Hürden für Nachfragen größer sind. 

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„Missverständnisse entstehen auch dann, wenn davon ausgegangen wird, dass Menschen erreichbarer sind, nur weil sie im Homeoffice sitzen“, sagt Weinand. Deshalb sei es wichtig, für die Arbeit von zu Hause aus klar Arbeitszeiten und Pausen zu definieren. Für die Expertin ist es zudem gerade im Homeoffice entscheidend, dass alle Aufgaben eindeutig verteilt sind. Hier könne die sogenannte RACI-Methode helfen. Dabei wird in Tabellenform festgehalten, wer bei einem Projekt was macht: Wer ist zuständig, wer berät, wer muss lediglich informiert werden?

Homeoffice-Chefs müssen aber weit mehr tun, als ihr Team gut zu organisieren. „Die Beziehung zu den einzelnen Mitarbeitenden muss so tragfähig sein, dass Unstimmigkeiten oder sogar Konflikte angesprochen und geklärt werden“, sagt Weinand. „Im Team gilt es genügend Kontaktpunkte zu schaffen, sodass sich alle miteinander verbunden fühlen und füreinander einstehen wollen.“ 

Na, wie ist die Stimmung?

Das Zwischenmenschliche darf zwischen Büro und Homeoffice also nicht verloren gehen. Das betonen beide Experten als erstes, wenn sie nach Ratschlägen für Führungskräfte gefragt werden. Ihre Empfehlung: Regelmäßig die Mitarbeiter fragen, wie es allen geht oder wie ihr Wochenende war. Weinand empfiehlt sogar, jedes Online-Meeting mit diesem lockeren Austausch zu beginnen und zwar ohne Zeitlimit. 

„Bereits in dieser kleinen Einstiegsrunde können Sie als Chef spüren, ob es Konflikte im Team gibt. Wer reagiert wie auf Andere? Wer erzählt wie viel?“, wirbt die Expertin. Dieser Austausch gehe zwar von der produktiven Zeit im Meeting ab. Das lohne sich aber, um einen wertvollen Indikator für die Stimmung im Team zu bekommen. „Nur dann spüren Führungskräfte, ob jemand zum Beispiel unzufrieden oder permanent gestresst ist“, sagt Weinand.

Jeder, wie er kann: Sieben Führungsstile

Dabei sei es aber wichtig, dass auch der Vorgesetzte in den digitalen Treffen offen und authentisch ist, mahnt die Expertin. Hier gehe es nicht darum, wahllos Privates zu teilen. Vielmehr sollten Vorgesetzte ihre unterschiedlichen Facetten zeigen: „Chef, Vater, Basketballfan – so lernen Mitarbeiter die Werte der Führungskraft kennen und schätzen.“

Wie das Team zusammenhalten?

Frey rät: Machen Sie die gemeinsame Arbeit selbst zum Thema. Vorgesetzte sollten die Beschäftigten regelmäßig fragen, was bei Zusammenarbeit, Kommunikation und Führung gut läuft, aber auch welche Verbesserungsideen sie haben. Gegenseitige Wertschätzung ist für den Psychologen ebenfalls entscheidend, damit die Gruppendynamik im Homeoffice funktioniert. Das bedeute: Chefs sollen loben und Mitarbeiter ermutigen, dies auch untereinander zu tun. 

von Varinia Bernau, Jannik Deters, Dominik Reintjes

Weinand schlägt dazu vor, bei regelmäßigen Teammeetings diese Fragen zu klären: Wie geht es uns? Was treibt uns an, was hält uns zurück? Welche Erfolge können wir feiern? Was wollen wir besser machen? Daneben hat die Expertin noch diese Anregungen, um den Teamgeist zwischen Büro und Homeoffice zu stärken: 

  • Digitale Treffen in der Mittagspause zwischen wechselnden Kollegen, um sich privat auszutauschen
  • Feste Kaffeepausen, zu denen sich alle einwählen können und bei denen möglichst nicht über die Arbeit geredet wird
  • Kurzes After-Work-Treffen auf ein Getränk oder eine Pizza, die Kosten übernimmt die Firma
  • Fixe Feedback-Gespräche für neue Mitarbeiter

Informelle Treffen mit Kollegen können auch Führungskräften beim Netzwerken und damit bei der weiteren Karriere helfen. „Dann kann sehr direkt danach gefragt werden, was zum Beispiel die Gerüchteküche oder der Flurfunk sagen“, rät Frey. Auf diese Weise lasse sich dem Informationsverlust im Homeoffice vorbeugen. 

Wie bleiben alle gleich?

Vorgesetzte müssen im Homeoffice auch gegen die menschliche Natur kämpfen. Denn der Proximity Bias sorgt dafür, dass Personen, die einem (auch physisch) näher stehen, instinktiv bevorzugt werden. Das kann bei aller Neutralität dazu führen, dass eine wichtige Aufgabe mal eben schnell „über den Flur“ vergeben wird. Der vielleicht besser qualifizierte Kollege im Homeoffice geht leer aus. 

Laut Weinand kann der Proximity Bias auch dazu führen, dass Mitarbeiter im Homeoffice als weniger loyal oder engagiert wahrgenommen werden, obwohl das objektiv gar nicht stimmt. „Gute Führung heißt aber, dass alle Teammitglieder Zugriff auf alle relevanten Infos haben und je nach Stärken Aufgaben übernehmen – unabhängig davon, wo sie arbeiten“, unterstreicht die Coach. 

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Damit es in Meetings fair zugeht, plädiert Weinand dafür, dass Kollegen im Homeoffice stets die Webcam anschalten. Es könne auch helfen, wenn alle Teilnehmer nacheinander zu Wort kämen oder die Meetings abwechselnd online und dann in Präsenz abgehalten würden. „Diese Regeln kann man auch als Team vorab festlegen“, sagt sie. 

Ist Homeoffice schlecht für die Karriere? 

„Viele Mitarbeiter und Führungskräfte fürchten in der Tat, dass Homeoffice der Karriere schaden kann“, hat Frey festgestellt. Leider sei die Erkenntnis, dass Führung aus der Ferne genauso gut funktionieren kann wie aus dem Büro, noch nicht in allen Chefetagen angekommen, moniert auch Weinand. Beide raten Führungskräften, mit ihren Vorgesetzten offen über mögliche Bedenken zu sprechen und sich über regelmäßige Gesprächstermine sichtbar zu machen. Dabei könne der Chef auch über aktuelle Projekte und neue Ideen auf dem Laufenden gehalten werden, sagt Weinand. Probleme müssten aktiv angesprochen werden – „lösungsorientiert und sachlich, nicht beschweren“, mahnt die Beraterin. 

Die Frage, wie viele Tage Homeoffice sich ein Vorgesetzter „leisten“ kann, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. „Man geht davon aus, dass für eine Führungskraft drei Tage Präsenz und zwei Tage digital akzeptabel ist, sodass es in etwa eine 50:50 Verteilung ist“, gibt Frey als Faustformel aus. Weinand findet, dass ein Chef bei guter Organisation sogar vollständig von zu Hause aus arbeiten könnte. „In vielen Unternehmen hat sich jedoch als Minimum ein gemeinsamer Teamtag in Präsenz pro Woche herauskristallisiert“, sagt sie. 

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Letzten Endes kann gute Führung im Homeoffice sogar die eigene Karriere fördern, Stichwort „Champions League“. Denn Führungskräfte, die Mitarbeiter sowohl im Büro als auch im Homeoffice überzeugen und ans Unternehmen binden, sind für Arbeitgeber immer wertvoller. Exzellente Homeoffice-Chefs sollten deshalb durchaus mit ihren Erfolgen hausieren gehen, um sich für spätere Beförderungen zu empfehlen. Weinand empfiehlt dabei, in erster Linie die Ziele des Teams, der Abteilung sowie des Unternehmens in den Vordergrund zu stellen –  und dann den eigenen Beitrag an diesen Erfolgen deutlich zu machen. 

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